Fischer/Pahlke/Wachter, ErbStG Einführung / 6 Erbschaftsteuer und EU-Recht | Haufe Steuer ... (2024)

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Kommentar aus Haufe Steuer Office Excellence

Karlheinz Konrad, Dr. Armin Pahlke

Rz. 60

Das Recht der Europäischen Union gilt vorrangig vor der nationalen Rechtsordnung und ist damit auch allgemein dem Steuerrecht übergeordnet, unabhängig davon, ob es sich um die Regelung einer direkten oder indirekten Steuer handelt. Aus dem primären EU-Recht und den darin geregelten Grundfreiheiten (Warenverkehrsfreiheit, Personenverkehrsfreiheit [Arbeitnehmerfreizügigkeit und Niederlassungsfreiheit], Dienstleistungs- und Kapitalverkehrsfreiheit) können Bürger der Mitgliedstaaten individuelle subjektive Rechte herleiten und auch vor den Gerichten der Mitgliedstaaten durchsetzen. Verstößt eine nationale Rechtsnorm gegen EU-Recht, insbesondere gegen die Grundfreiheiten, so ist die nationale Rechtsnorm aufgrund des Vorrangs des EU-Rechts unanwendbar.

6.1 Direkte Steuern und Grundfreiheiten

Rz. 61

Während indirekte Steuern nach Maßgabe der Art.90–93 AEUV zu harmonisieren sind[1], sieht der AEUV einen vergleichbaren Auftrag für direkte Steuern, zu denen auch die Erbschaftsteuer zählt, nicht vor. Nach dem Subsidiaritätsprinzip bleibt die Regelung der direkten Steuern vielmehr grundsätzlich Sache der Mitgliedstaaten.[2] Der Bereich der direkten Steuern als solcher fällt beim gegenwärtigen Stand des EU-Rechts nicht in die Zuständigkeit der Europäischen Union, die Mitgliedstaaten dürfen die ihnen verbliebenen Befugnisse gleichwohl nur unter Wahrung des EU-Rechts ausüben.[3] Dahinter steht der Grundgedanke, dass die praktische Wirksamkeit des EU-Rechts (der sog. effet utile) der Grundfreiheiten in erheblicher Weise beeinträchtigt wäre, wenn die Mitgliedstaaten mittels steuerlicher Gestaltungsfreiräume die Wirkung der Grundfreiheiten beeinflussen könnten.[4] Die allgemeinen Bestimmungen der Grundfreiheiten schließen die Lücke, die dadurch entsteht, dass der AEUV keine Regelung dazu enthält, wie die nationalen Steuersysteme gestaltet sein müssen, um das Integrationsziel des Binnenmarkts nicht zu beeinträchtigen.[5] Wenn sich also einzelstaatliche Rechtsvorschriften über direkte Steuern auf die Ausübung der 4 Grundfreiheiten des AEUV – freier Verkehr von Waren, Personen (insbes. Arbeitnehmerfreizügigkeit und Niederlassungsfreiheit) und Kapital – auswirken, ist jegliche offene Diskriminierung aufgrund der Staatsangehörigkeit und jede versteckte Diskriminierung Gebietsfremder gegenüber Gebietsansässigen untersagt, wenn und weil ein Differenzierungskriterium sich überwiegend und typischerweise zum Nachteil ausländischer Staatsangehöriger auswirkt. Dies gilt auch für das Erbschaftsteuerrecht.[6]

[1] Die Zitierung (AEUV) erfolgt nach der konsolidierten Fassung des Vertrags über die Europäische Union und des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union, ABlEG v. 7.6.2016, C 202.

[2] Eine Harmonisierungskompetenz könnte sich zwar aus der Rechtsangleichungsklausel des Art.115 AEUV und der allgemeinen Kompetenzabrundungsklausel des Art.352 AEUV ergeben; sie ist bislang kaum genutzt worden. Die Maßnahmen der EU in diesem Bereich beschränken sich bislang auf Teillösungen für bestimmte Fälle von Doppelbesteuerung und grenzüberschreitender Wirtschaftstätigkeit.

[3] Vgl. m.w.N. EuGH v. 11.9.2008, C-43/07 (Arens-Sikken), BFH/NV 2009, 107; EuGH v. 17.1.2008, C-256/06 (Jäger), BFH/NV Beilage 2008, 120; EuGH v. 23.2.2006, C-513/03 (van Hilten-van der Heijden), BFH/NV Beilage 2006, 229. Vgl. auch die Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat und den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss zum Abbau grenzübergreifender Erbschaftsteuerhindernisse in der EU, KOM, 2011, 864 endg.; die Kommission regt nationale Maßnahmen zum Abbau der Doppelbesteuerung an, vgl. Commission Recommendation of regarding relief for double taxation of inheritances, (C/2011/8819).

[4] Wilms/Maier, UVR2004, 327, 328.

[5] Fischer, Primäres Gemeinschaftsrecht und direkte Steuern, Frankfurt am Main 2001, 315.

[6] Grundlegend EuGH v. 11.12.2003, C-364/01 (Barbier), BFH/NV Beilage 2004, 105.

6.2 Dreistufige Prüfung der Grundfreiheiten

Rz. 62

Die Überprüfung einer steuerrechtlichen Norm am Maßstab der Grundfreiheiten erfolgt in 3 Schritten[1]: Ist eine Grundfreiheit betroffen? Ist die Grundfreiheit durch Diskriminierung beeinträchtigt? Ist die Beeinträchtigung gerechtfertigt?[2]

[1] Vgl. etwa EuGH v. 17.1.2008, C-256/06, BFH/NV Beilage 2008, 120; s.a. Kokott/Ost, EuZW 2011, 496.

[2] Zum Anwendungsbereich der Kapitalverkehrsfreiheit und zur Niederlassungsfreiheit s. Rz.81ff.

6.2.1 Schutzbereich

Rz. 62a

Ob eine Grundfreiheit betroffen ist, ergibt sich aus dem Anwendungsbereich der jeweiligen Grundfreiheit.[1] So ist etwa die Kapitalverkehrsfreiheit betroffen bei Erbschaften, Vermächtnissen und Schenkungen mit grenzüberschreitenden Elementen, es sei denn, die betreffenden Transaktionen weisen mit keinem wesentlichen Element über die Grenzen eines Mitgliedsstaats hinaus (vgl. hier unter Rz.8). Während sich also wesensgemäß zu den jeweiligen Grundfreiheiten keine allgemeinen Aussagen vor die Klammer ziehen lassen, kann zur Beeinträchtigung der Grundfreiheiten und zur Rechtfertigung einer solchen Beeinträchtigung grundsätzlich Folgendes voran...

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